Der Saal im Heimathafen Neukölln ist ein sehr festlicher, prunkvoller aber lebensfroher Saal. Im absoluten Black und einer langanhaltenden Stille zu Beginn der Aufführung von PS: and the trees will ask the wind geben nur noch die Notausgangsschilder Licht. Die Stimmung wird merklich verändert und auf etwas Existenzielles heruntergebrochen.
Das Öffnen des Vorhangs ist der erste Ton der Aufführung des sehr konzentrierten und konzentrierenden Stückes von Elnaz Seyedi und Ehsan Khatibi, die hier etwas Neues wagen. Sie haben sich beim Kompositionsstudium in Teheran kennengelernt und haben schon früher intensiv zusammengearbeitet, „mit Leid und Leidenschaft“ wie sie es mit einer Prise Humor im Bühnengespräch nennen. Es ist für beide das erste Mal, dass sie multimedial arbeiten. Sie haben in diesem Stück nicht nur mit musikalischen Mitteln komponiert, sondern auch mit Video und Licht und haben als Ausgangspunkt die Beschäftigung mit dokumentarischem Material gesetzt. Dieses Ausgangsmaterial sind Aufnahmen eines „Ereignisses“, wie sie es mit Absicht unspezifisch nennen, aus zwei Perspektiven und zeitversetzt. Aus dem Verhältnis von zwei Videoaufzeichnungen zu dem Ereignis, entstand die Komposition, und daran orientieren sich die musikalischen Dauern. Neben der Videoprojektion setzen Elnaz Seyedi und Ehsan Khatibi ebenso das Licht als kompositorisches Element. Mit dem Thema Licht haben sie sich bereits in einer vorangegangenen gemeinsamen Kompositionsarbeit zu „Der Fremde“ von Camus auseinandergesetzt, jedoch damals rein musikalisch, erzählen sie im Interview. Im Werk bei Ultraschall sehen sie eine Weiterführung der Auseinandersetzung mit Camus’ Lichtmetaphorik, die das Licht in einer ambivalenten Weise mit Bedeutung belegt und ihm auch den Eintritt in das Abgründige zuschreibt. Die weitere Bedeutungsebene des Lichtes, nämlich etwas erkennbar zu machen und zur Erhellung zu führen, ist in der Redeweise „Licht auf ein Ereignis werfen“ sogar mit einer Handlung und Bewegung verbunden und dient Elnaz Seyedi und Ehsan Khatibi als Motivation ihres Stücks.
Drei Performende stehen im Halbkreis auf der Bühne, in schwarz gekleidet, hinter schwarz verhangenen Pulten, die Bühnenrückseite ebenso schwarz. Dieses Bild unter dem eleganten Rund des Bühnenrahmens erinnert an frühe fotografische Darstellungen von Séances, bei denen Menschen als Medien in Kommunikation mit Geistern treten – auch hier folgt eine spielerische und zugleich ernste Erweiterung der Wahrnehmung mithilfe von Bildern und Klängen. Die ebenso skurril wie obskur anmutende Paetzoldflöte trägt zu dem Eindruck einer besonderen Grundsituation bei und bildet mit der Violine und den Objekten einen ungewöhnlichen Klangkörper.
Auf der Rückprojektionsfläche wird ein kurzer Text eingeblendet. Er beschreibt, wie sich eine Blutspur durch die Stadt bewegt, auch eigenwillig scharf um die Ecke abbiegt oder Treppen aufwärts steigt. Eine Figur verfolgt die Blutspur bis an ihren Beginn. Dieses als Ausschnitt aus „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez gekennzeichnete Zitat gibt eine Anleitung zu einer abstrakten Spurensuche. Es folgt eine Abfolge von 11 Kapiteln, die ausgehend von der statischen Bühnensituation als eine Folge von Experimenten aufgreifbar ist.
In der aufgebauten Spannung der Dunkelheit und Stille werden die ersten Grundelemente der Komposition wie eine Grammatik gesetzt. Ein Knall – markerschütternd – und ein zweiter Knall. Ein Taschenlampenlicht wird auf das Publikum gerichtet. Ein Rhythmus entsteht durch das An- und Ausschalten des Lichts und dem Hinzukommen weiterer Taschenlampenlichter. Von diesem Moment an ist für gespanntes Unwohlsein bei gleichzeitiger absoluter Wachheit des Publikums gesorgt, denn die sich im Laufe des Stückes wiederholenden Einbrüche von intensiven Lichtgeschehnissen und lauten Geräuschen kommen ohne Vorwarnung, aber erwartet. Es ist wahrlich eine Komposition aus Bild und Ton und Stillen und Dauern, und leisesten und lautesten Elementen.
Das Störgeräusch des White Noise, das plötzlich hinein- und abbricht, ist der Impulsgeber für einen feinen, sphärischen Klang, der auf den ungewöhnlichsten Instrumenten erzeugt wird, die die meisten von uns je erlebt haben mögen. Ein profaner Spachtel, der mit einem Geigenbogen in Schwingung versetzt wird, ist zu einer erstaunlichen Musikalität fähig. Mal sind drei Spachtel im Zusammenklang hörbar, mal wird ein Spachtel von der Geige und dem Atmen und sehr dumpfen Klang der Paetzoldflöte begleitet, und immer bilden sie eine fragile und doch eindringliche Rhythmisierung, die wiederholt unter der Verdeckung oder Verdrängung durch dominantere Geräusche oder Lichtgeschehnisse hervorkommt.
Die Spachtel werden auf verschiedene Weisen gespielt. Das rhythmische Aufeinanderschlagen der Kanten, wie ein mechanisches Hacken, hat eine sowohl klangliche als auch bildhafte Wirkkraft durch eine angedeutete Brutalität. Leise musikalische Klänge, musikalisches Störgeräusch und schreiende Stille wechseln sich ab, brechen ineinander ein, überdecken oder verbinden sich.
Ein durch die gleichzeitig herrschende Stille extrem eindrucksvolles, pixelig-verrauschtes Video zeigt einen sich lautlos nach oben bewegenden, rot und gelb leuchtenden Punkt, der einen Lichtschweif hinter sich herzieht. Er verlangsamt sich und schlingert, scheinbar im Moment der Schwerelosigkeit am Zenit angekommen. Es folgt ein Knall, der die vom Anblick Gefesselten in einem Ruhepunkt trifft, zu dem es dem Lichtpunkt gefolgt ist. Das Zeitversetzte der in Verbindung stehenden Phänomene von Bild und Ton erzeugt eine Spannung, in der die Empfindung der bloßen Dauer hervortritt.
Mit dem Geräusch des White Noise, das sich in seiner Intensität verändert und unbestimmt flatternd wird, korrespondiert die Projektion eines Rollladens, der sich durch eine Manipulation des Videos in einer panischen Bewegung befindet. Ebenso wiederkehrend wie das Motiv der zwischen Feuerwerk und Explosion changierender Funken ist eine Aufnahme, die eine von oben betrachtete Straßenansicht zu zeigen scheint, im Hochkantformat, was auf den Ursprung des Materials als Handyaufnahme spekulieren lässt. Verschiedene Momente in dem Videomaterial werden im Laufe des Stückes isoliert eingespielt. Ein darin auftauchendes Lichtereignis breitet sich über die Bildfläche hinaus auf die Bühne aus, und wird später sogar unverkennbar als Explosion und brennendes Baumaterial identifizierbar.
Es ist sehr spannend, dass die Bilder abstrakt und bedeutungsoffen sind und trotzdem im Zusammenspiel miteinander eine Verortung ermöglichen und einen emotionalen Raum entstehen lassen. Denn die Rollläden als Wohnungsgrundausstattung und interkulturell mit Erinnerung aufgeladenes Motiv stehen mit der von oben betrachteten Straße in Verbindung. Beide Perspektiven enthalten diese Ambivalenz. In einem Moment befindet man sich in einem geschützten Raum und im nächsten ist derselbe Ort unsicher. einmal ist draußen eine ruhige nächtliche Straße zu erkennen, in der nichts passiert, dann ist es dieselbe Straße im Moment der Zerstörung.
Die Langsamkeit und langen Stillen bleiben durchgehend tonangebend, so bewegt sich das Stück vorwärts, mit Dauern im Dazwischen, die keine Willkürlichkeit haben und in denen es so wirkt, als ob das Geschehen in den Publikumsraum hinein ausgeweitet wird, weil die von den Zuschauenden erzeugten Geräusche eine dazugehörige Musikalität bekommen und eine klangliche Resonanz des Geschehens hörbar wird, seien es absolute Stille oder als Äußerungen von Unbequemlichkeit auffassbare Laute. Es kommt zu einer maximalen Steigerung der Intensität und Konfrontation, indem der gesamte Saal durch einen drone-artigen Sound in Vibration versetzt wird, bei gleichzeitiger Blendung und führt damit eine teilweise kleinteilig oder schockhaft erlebte Angespanntheit zu einem anhaltenden und einnehmenden Zustand, in dem jede Person ihrem subjektiven Erfahren überlassen wird.
Als Werkkommentar haben die Komponisten ihrer Arbeit Auszüge aus Aleida Assmanns Theorie „Formen des Vergessens“ an die Seite gestellt. Sie nimmt das Vergessen als notwendigerweise neben dem Erinnern existierendes menschliches und kulturelles Phänomen in den Blick. Nicht nur das historische Vergessen, sondern auch das Vergessen politisch aktueller Situationen, die von mehr in den Blick gerückten Geschehnissen verdeckt werden, ist das Thema dieses Werks, das während der Pandemie entstanden ist. Das ist auch ohne Kenntnis der reichhaltigen intellektuellen Inspiration für das Werk sinnlich erlebbar und ist somit eine überaus relevante, implizit politische künstlerische Konfrontation. Der Denkraum, den Elnaz Seyedi und Ehsan Khatibi hier errichten, fordert heraus, im Dazwischen zu suchen.